Die Watzmann-Überschreitung ist im Internet vielfach zu finden, inklusive informativer Videos. Ist es möglich, eine der begehrtesten Touren Deutschlands von Salzburg aus mit Öffis an einem Tag zu unternehmen? – Ein Praxistest.
Es ist Dienstag früh. Wir treffen einander um 6:30 Uhr am Salzburger Hauptbahnhof, Alvaro, Johannes und ich. Der große Gelenksbus 840 nimmt uns und ein paar andere Fahrgäste auf. Die Wettervorhersage ließ uns auf eine nächtliche Radfahrt (es wären circa 30 Kilometer gewesen) und einen Aufstieg im Morgengrauen, der Sonnenglut wegen, verzichten: denn: erst ab circa Mittag sollte es trocken bleiben, davor immer wieder leicht regnen.
In Marktschellenberg füllt sich der Bus bis auf den letzten Platz: Schülerinnen und Schüler verschiedenen Alters sind auf dem Weg zu ihrem Tagewerk. Vom Bahnhof Berchtesgaden, wir steigen in Bus 846 um, fahren jede Menge Busse ab: die Anzeigen verraten die Schulorte und Schultypen.
Rundtour über den Watzmann
Wimbachbrücke: Im Wartehäuschen gegenüber der Ausstiegsstelle adjustieren wir uns für den Nieselregen, der uns, mal weniger, mal mehr, die ersten 2 ½ Stunden fast bis zum Watzmannhaus (Titelfoto) begleiten wird.
Auf der Falzalm suchen wir Schutz unter dem Vordach der Hütte. Es ist Zeit für den ersten Schluck und den ersten Müsliriegel.
Bisher sind uns schon vielleicht 20 BergsteigerInnen entgegen gekommen, und es werden bis zum Hocheck noch 30 dazu kommen; muss ganz schön voll gewesen sein, das Watzmannhaus…
Wie angenehm, wenn der Niederschlag nachlässt, die Wolken den einen oder anderen Blick in die Umgebung frei geben, die Felsen auftrocknen…
Unglaublich: bereits um 12 Uhr sitzen wir, 2000 Höhenmeter in den Beinen – alleine! – in der Biwakhütte am Hocheck.
Wir genießen die Windstille im Schutz dieses Raumes, stärken uns und beraten, wie es weitergehen soll: Viele (fast alle?) Überschreitungs-Aspiranten haben umgedreht, wie wir Gesprächen entnommen haben… Der Sturm verursacht leichte Erdbeben, Nebel fegt über den Grat.
Wir beschießen, das erste Stück einfach zu versuchen; vielleicht schaffen wir es bis zur Mittelspitze… Konzentriert steigen, an den Drahtseilen festhalten, auf Böen gefasst sein… Die Wildheit der Landschaft begeistert uns!
Dass wir kaum 30 Minuten später auf der Mittelspitze stehen werden und in einer weiteren knappen Stunde auf der Südspitze, und dass wir den gesamten Grat und den Abstieg fast bis zur Wimbachgrieshütte für uns allein haben würden, abgesehen von einigen kühnen Gämsen – Wer hätte das gedacht?
Große Schneefelder und flottes Abfahren im Geröll lassen uns beim langen und immer noch längeren Abstieg ins Wimbachgries gut vorankommen.
Die Abfahrtszeiten von Bus 846 habe ich im Kopf: 18:01 Uhr, da sind wir in einer Stunde wieder in Salzburg; Alternativen: 19:01 Uhr und 19:39 Uhr. Dies ist dann die letzte Möglichkeit, öffentlich nach Salzburg zu kommen. Da ich unser Tempo nicht einschätzen konnte und bei einer derartigen Tour jeder Stress vermieden werden muss, habe ich mir zur Sicherheit die Taxinummer von Berchtesgaden herausgesucht…
Die Hütte ist erreicht – es gilt zu entscheiden, welche Verbindung wir anpeilen. O.K. Um 18:01 Uhr wollen wir wieder im Bus sitzen. Etwas mehr als 1 ½ Stunden stehen zur Verfügung. Wir beschleunigen (zugegeben schon etwas müde) unseren Schritt.
Nach knapp 10 Stunden, unsere Rastzeiten summieren sich – auch dank des mäßigen Wetters – wohl auf kaum 60 Minuten, sind wir wieder, diesmal ohne Nieselregen aber angereichert mit vielfältigen Eindrücken, bei der Busstation Wimbachbrücke.
Rückfahrt
Doch der Bus – er kommt vom Hintersee – lässt sich Zeit und ist von Touristen überfüllt…
Leider schafft es der Verkehrsverbund nicht, die Zeiten so zu koordinieren, dass wir in Berchtesgaden den Bus 840 nach Salzburg erreichen – können ihm aber noch winken!
Wir nehmen es – wie man sagt – sportlich, lernen somit noch die S-Bahn nach Freilassing kennen, und sind somit 45 Minuten später als erhofft zurück am Salzburger Hauptbahnhof. Da die Tageskarte für Öffis im Berchtesgadener Land, die uns der Busfahrer in Salzburg umsichtiger Weise ausgedruckt hat, für die S-Bahn nicht gilt, sind wir auf das „zugedrückte Auge“ des netten Schaffnerin angewiesen; bayerische Menschlichkeit.
Fazit
Die Watzmann-Überschreitung, so steht es zu lesen, will jeder ambitionierte Alpinist einmal gemacht haben. Zu Recht! Die Länge und die technischen Anforderungen – besonders der Abstieg ist nicht zu überschätzen! – brauche ich hier nicht näher ausführen. Dass uns dies mit Öffis von Salzburg aus an einem Tag in 10 Stunden möglich war – mit knapp zwei Stunden Zeitreserve – erfüllt uns mit Freude und Staunen!