Wir, ein befreundetes Paar aus Wien und ich, sitzen auf der Veranda des Arthur-von-Schmid-Hauses und genießen die Kaspressknödelsuppe. Mein Blick schweift zum Seeschartl. Von dort müsste es durch ein mir unbekanntes Tal auch Richtung Mallnitz gehen, denke ich… Und dies ist aus jenem Gedanken geworden:
Leider konnten wir innerhalb der nächsten 6 Tage keine Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Schladming zu dieser Tour für dich finden.
Zu Hause werden Karten und Internet konsultiert: Das mir unbekannte Tal heißt Kapónigtal. Aber: Wie komme ich in dieses Tal? ÖK und AV-Karte lassen eine Möglichkeit über die „Alte Bahntrasse“ erkennen. Ist die begehbar? Im Internet stoße ich auf eine Karte, die dort, wo seinerzeit Gleise lagen, einen Radweg ausweist… Ich will es wagen.
Der Zug bietet mir an diesem Donnerstagmorgen viel Platz:
Füße hoch lagern, eine Zeitung auf die Knie und durch die Nacht in das nebelige Gasteinertal und durch den Tunnel ins – leider ebenfalls – nebelige Mallnitz.
Aufstieg durch das Kapónigtal
Ich gehe an den Gleisen entlang, an der Autoverladung vorbei und suche, wie ich den Einstieg finde. Das Schild „Rabisch-Schlucht“ verlockt mich: Hinunter zum tosenden Mallnitzbach, zur Gischt, zu den Urgewalten, die mich wie das Hintergrundrauschen der Schöpfung begleiten.
Der Steig ist gut gepflegt, bietet eine Reihe von vorgeschobenen Aussichtspunkten. Dennoch: Stolpern streng verboten!
Schließlich endet die Schlucht. Nun geht es darum, zur „Alten Bahntrasse“ zu finden. „Dösen-Mallnitz“ ist der entscheidende Hinweis.
Man bleibt orographisch auf der rechten Seite des hier einmündenden Dösenbachs, steigt den Fahrweg und über Wiesen bergan und: Da sieht man schon die schöne Architektur der Bahnbrücke.
Die nächste Stunde ähnelt der Besichtigung einer Baustelle*: Die Fahrbahn ist von schweren LKW-Reifen plattgewalzt, im Nebel kommt mir der erste Vierachser entgegen. Irgendwie fühle ich mich wie jemand, der verbotenerweise hier unterwegs ist. Ich hebe, etwas unsicher und verstört, grüßend die Hand und drücke mich an den Straßenrand. Mein Gruß wird freundlich erwidert. Dass sich dieses Ritual wohl an die 20x wiederholen wird, wusste ich noch nicht – und ich hätte auch keine andere Wahl gehabt: „Da musst du jetzt durch, Karl!“ – sage ich zu mir. Der Nebel wird dichter; bei Sonne wäre die Aussicht auf das Tal wohl attraktiv. Da: Ein Tunneleingang? – nein: Ein Bauwerk, das ich erforschen will: Keine Skipiste, die quert, sondern ein „Aquädukt“ für große Niederschlagsmengen.
Ich bewundere, wie gut diese Trasse gebaut ist: Nichts ist in den mehr als 100 Jahren abgerutscht, in den Stützmauern keine Risse oder Sprünge.
Zwischen den LKW-Begegnungen wähle ich, um bald in schöneres Gelände zu kommen, den Laufschritt, stelle mir vor, ich bin der Lockführer einer Dampflock, der vielleicht anno 1920 hier an einem sonnigen Herbsttag unterwegs war…
Am Straßenrand sehe ich Arbeiter bei ihrem Werk. „Was ist das für eine Baustelle?“ – „Da ist ein Druckrohr verlegt; aber es ist schon alles drin.“ – „Gutes Gelingen, dass niemandem etwas passiert!“
Endlich: Die Hinweistafel – die mir zeigt, dass hier gewandert wurde/wird – heißt mich, die Bahntrasse zu verlassen. Doch noch immer kein schöneres Gelände: Die Straße ist nach wie vor eine LKW-Piste, unglaublich aufwändig gestützt.
Schließlich erreiche ich die letzten Kraftwerks-Bauten (Wasserfassung Kapónig). Doch auch danach führt immer noch ein Forstweg ins Tal, bis zum Bodenhüttl.
Endlich ein Ort, der mich (nach etwas 2 ½ Stunden) zu einer kleinen Rast einlädt. Aus der Nebelzone bin ich heraußen, die Sonne allerdings versteckt sich hinter hohen Wolken. Hat ein rabiater Hirsch den Hochstand umgelegt?
Nun wird es schön, immer schöner: Flache Böden, lichter Wald. Der Weg ist kaum ausgetreten. Wie so manches Tal ohne bewirtschaftete Alm oder Hütte ist auch das Kapónigtal ein Hort der Einsamkeit.
Eine letzte Steilstufe – liebevoll mit Stufen begehbar gemacht – und der Moosboden ist erreicht. Jetzt ist auch die Sonne da – und die Stille und die Herbstfarben; natürlich besuche ich neugierig die Jagdhütte… Wie schön! – rufe ich aus – Wie schön!
Die nächsten 400 Höhenmeter finden mich vollkommen euphorisch: die alten Zirben (sicher 200+), das Rot und Orange der Zwergsträucher, die Wärme der Sonne…
Reife, bordeauxrote Preiselbeeren finden den Weg von den Stauden in meine Hand und von der Hand in meinen Mund. Der Steig ist stellenweise Dachbodentreppen-steil: Wie nach den Holmen dieser Treppe greifen meine Hände nach Felsen und Wacholderbüschen. Schließlich naht die Mittagsstunde. Ich setzte mich in die Heide, eine andächtig-stärkende Rast tut not.
Führt der Steig von der Heide ins Blockwerk lösen sich die ohnehin spärlichen Wegspuren gänzlich auf.
Mehrmals bleibe ich stehen, um die nächste Markierung zu erspähen. Bei dichtem Nebel müsste man sich mit GPS behelfen…
Über den Ochladinboden (AV-Karte) und die Ochladinlack’n geht es schließlich ins Seeschartl. Es ist 13:35 Uhr.
Abstieg durch das Dösental
Kleine Rast – mein Blick schweift in die Runde: Ist dort, in der Mallnitzer Scharte, eine Skulptur der Osterinsel postiert worden?
Den Steig hinunter in die Dösen haben die Altvorderen teilweise mit Treppen gestaltet, ein kurzes Stück ist mit einem Seil versichert.
Wie ich vermutete, ist die Hütte, die seit einer Woche geschlossen ist, nicht ganz verwaist: Ein Golden Retriever mit zwei Begleiterinnen tummelt sich nahe des Wassers.
Das Dösental und der Abstieg nach Mallnitz bedarf keiner weiteren Beschreibung. Mir fällt auf, dass der Wasserfall unterhalb der Hütte, versiegt ist: Das kleine Hütten-Kraftwerk, dessen Druckrohr in den See reicht, ist still gelegt.
Bevor sich die Sonne hinter der Lonza verkriecht, fange ich das überreiche Hagebuttenrot ein.
In 20 Minuten kommt mein Zug, Zeit genug, die Wasservorräte im neu verfliesten Bahnhofs-WC aufzufüllen.
Fazit
Diese Tour ist sicher nicht die erste Wahl rund um Mallnitz. An zauberhafter Landschaft, prachtvoller Wegführung und tiefer Einsamkeit ist das Kapónigtal allerdings kaum zu toppen! Die Frage bleibt: Wie kommt man am besten in dieses Tal? Es gibt einen „Nationalpark-Parkplatz“, den man wohl – ähnlich wie den Parkplatz Dösental – mit dem hpv-Wandertaxi (0664 1278579) ansteuern könnte. Doch auch von dort sind es noch mehrere Kilometer Forststraße…
Oder: Da die Kraftwerksbaustelle 2024 beendet sein wird, sollte die Alte Bahntrasse wieder den Radfahrern (und Wanderern?) gehören und somit ihre Reize entfalten können.
Wem knapp 30 Kilometer und mehr als 1.700 Höhenmeter an einem Tag zu viel sind, dem empfiehlt sich eine Übernachtung am Arthur-von-Schmid-Haus, das übrigens auch einen schönen Winterraum hat. Man könnte dann vom Seeschartl aus noch einen der nahen, völlig vereinsamten Gipfel mitnehmen und am nächsten Tag dem vergleichsweise überlaufenen Säuleck einen Besuch abstatten.
Tourdaten
* Die heimatliche Internet-Recherche ergab: Es war tatsächlich eine – verbotene – Baustellenbesichtigung, die übrigens auch mit BzB zu tun hat: Bahnstromkraftwerk Obervellach II; bis 2024 soll es fertig sein.